Westerheim :: Landkreis Unterallgäu :: Erinnerungen an turbulente Tage im Jahre 1945

 

 

 

 

ERINNERUNGEN AN TURBULENTE TAGE AUS DEM JAHRE 1945

(Quelle: mündl. Überlieferung von Alois Hebel sen.)

Als am Abend des 26.04.1945 die Amerikaner in unser Dorf einmarschierten, mussten sämtliche Häuser mit weißen Fahnen versehen sein. Die meisten Einwohner standen am Straßenrand und winkten mit Taschentüchern den lang ersehnten Befreiern zu.

Rechts und links von den Panzer-Ungetümen, marschierten die Kaugummi kauenden Amis, mit schussbereiten Maschinenpistolen. Über Lautsprecher wurde der Bevölkerung strengstens untersagt, das Dorf zu verlassen. Ferner wurde man aufgefordert, sämtliche Waffen und Munitionen zu einem Sammelpunkt zu bringen.

Mein Vater hängte mir 5 Infanterie-Gewehre über die Schulter, drückte mir eine Schachtel voller Munition in die Hände und schickte mich zum Sammelpunkt an die Sontheimer Kreuzung.

Der Grund für unsere "Waffensammlung" war folgender: Einige Tage, bevor die Amis einmarschierten, wurde eine kleine Nachschub-Einheit bei unseren Nachbarn einquartiert. Diese Soldaten waren in "Scholla"-Stadel untergebracht. Da jeder vernünftige Mensch das Kriegsende bereits kommen sah, überlegten sich die einquartierten Soldaten, wie sie den Heimweg antreten könnten. Somit kam einer der Soldaten zu uns und bot meinem Vater an, das Gewehr und die Munition gegen einen Laib Brot und eine Landkarte zu tauschen. Mein Vater willigte ein. Kurz darauf kamen gleich 4 weitere dieser kriegsmüden Helden und wollten ebenfalls dieses Bombengeschäft machen. Wiederum willigte mein Vater ein. Die Soldaten hatten nun Verpflegung und Landkarten für den Heimweg und wir 5 Gewehre und die Munition.

Etwas mulmig war mir dann schon zumute, als ich in dieser kriegerischen Aufmachung an den abgestellten Panzern zur Sammelstelle ging. An der Kreuzung angekommen, sah ich bereits einen Waffen- und Munitionsberg und somit warf ich unsere 5 Gewehre und die Munition dazu. Kurze Zeit später fuhr ein Panzer über den Berg und machte die Waffen und die Munition unbrauchbar.

Von der Waffenlieferung zurück, sah ich, wie die übrige "Matthä"-Familie mit Decken beladen in unseren Stadel gingen. Wir mussten unser Haus für die Amis räumen. Auch unsere Nachbarn ("Kohler") musste in unserem Stadel die Nacht verbringen. Wir jüngeren versuchten, es uns auf dem Stroh-Stock oben so bequem wie möglich zu machen, während die Eltern auf dem Boden der Stadel-Einfahrt ihr Nachtlager aufschlugen.

Unterdessen hatten die Amis in unserer "guten Stube" drei große Ölherde aufgestellt. Dort wurde die ganz Nacht für die kämpfenden Truppen gekocht. Am nächsten Tag wurden die Ölherde und die Verpflegung auf LKWs verladen und zu den kämpfenden Truppen abtransportiert. Somit durften wir wieder in unser Haus zurückkehren – aber da sah es böse aus. Die Soldaten hatten das ganze Haus durchsucht und dabei alles auf den Kopf gestellt. Auch die Möbel in der "Stube" hatten großen Schaden erlitten. Denn durch die Hitze beim Kochen, hatte sich die Farbe an den Möbeln aufgeworfen und die Hitzebläschen platzen nun nach und nach auf. Nach Kriegsende war es jedoch unmöglich, dass man irgendwie an Ölfarbe gelangte. Auch auf dem Schwarzmarkt – wo man häufig Ware gegen Lebensmittel tauschen konnte – war keine Ölfarbe ausfindig zu machen. Und so machte unser "Saloon", bis nach der Währungsreform, einen sehr "rustikalen" Eindruck. Aber trotz allem waren wir an diesem Tag einfach froh, dass wir wieder in unserem Haus wohnen konnten.

Am nächsten Morgen wurden von den Amis am Straßenrand eine ganze Reihe Kanister aufgestellt. Darauf platzierten sie Kisten mit Orangen, Bananen, Äpfel, Birnen und exotische Früchte (die wir noch nie zuvor gesehen hatten). Aus großen Kannen wurde Kaffee und Tee ausgeschenkt und in Kartons befanden sich blütenweiße Brotscheiben. An unserer Haustür stand ein Koch und teilte allerlei Brotaufstriche und Wurstscheiben aus. Von allen Richtungen kamen die Amis, um sich ihr Frühstück zusammenzustellen. Ein Spaßvogel hatte auch – von unserer Mutter gebackene - Bauernbrot-Laibe zum "Buffet" gestellt. Die Amis waren ganz gierig auf dieses Schwarzbrot und somit ging es weg, wie warme Semmel.

Dank der Amis kamen wir dann - nach ihrem Frühstück - zu unerwartete Genüsse. Wobei wir dies wiederum Familie Moll und Familie Husemann zu verdanken hatten. Diese beiden Familien stammten ursprünglich aus der Stadt Essen, waren jedoch wegen der ständigen Bombenangriffe ins Allgäu evakuiert worden und wohnten während der Kriegszeit in unserem "Stüble". Die beiden Frauen aus Essen, rochen an diesem Morgen den lang vermissten Duft von Bohnenkaffee. Sie gingen der Sache nach und entdeckten zu ihrer großen Freude, in unserem "Gärtle", eine ca. 10 cm dicke Schicht Kaffeesatz. Sie verständigten sofort einige andere Leidensgenossinnen und als die amerikanischen Truppen abgezogen waren, kamen die Frauen mit allerlei Gefäßen und sammelten das wertvolle Gut säuberlich ein. Dieser Kaffesatz wurde dann noch mehrmals zum Aufbrühen des lang ersehnten Bohnenkaffees verwendet.

 

 

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